Warum wir mit Sensitivity Reader*innen arbeiten

Veröffentlicht am: 6. Juni 2023

Seit unserem Frühjahrsprogramm 2023 arbeiten wir mit Sensitivity Reader*innen zusammen. Aber was für ein Prozess ist das, von dem man in der Buchcommunity schon länger hört, und was genau eigentlich heißt das für speziell unsere Kinderbuchtitel?

Was ist Sensitivity Reading?

Wenn Autor*innen und/oder Illustrator*innen marginalisierte Lebensrealitäten abbilden, die nicht ihren eigenen entsprechen, kommen bei uns Sensitivity Reader*innen ins Spiel. Das sind professionelle Leser*innen, die das Buch auf diskriminierende, stereotypierende und/oder ausgrenzende Sprache und Darstellungen prüfen.

Der Blick auf das Buch aus Sicht ihrer gelebten marginalisierten Realität und fachlichen Kompetenz ist hier enorm wichtig, damit keine/r unserer Leser*innen im Nachhinein von einer Darstellung oder einem Ausdruck, der sie oder Menschen in ihrem Umfeld betreffen, verletzt werden.

Sensitivity Reading kann also mit dem Lektorat verglichen werden, das den Text und die Illustrationen durch eine spezifische Lupe genauer betrachtet und verbessert.

Kinderbücher prägen uns wie kaum eine andere Alterskategorie und beeinflussen unsere Sichtweise genauso wie unser sonstiges Umfeld drastisch. Gerade als Kinderbuchverlag haben wir deshalb eine große gesellschaftliche Verantwortung, die uns immer bewusst bleibt. Diverse Lebensrealitäten einfühlsam und informiert darzustellen, ist uns enorm wichtig.

Darstellung von Erfahrungen, bei denen Sensitivity Readings wichtig sind:1

  • Rassismus
  • Religion
  • Behinderung
  • Neurodivergenz
  • Gewalterfahrungen
  • Geschlecht und Sexualität
  • Psychische Erkrankungen
  • Bodyshaming

Worauf wird bei unseren Titeln geachtet?

Für uns ist das Thema Sensitivity Reading erstmals bei »Finni Fantastisch« und »Ein Osterhase für Mia« aufgekommen.

Finni ist ein nichtbinäres Fuchskind. In Zusammenarbeit mit unserer Lektorin wurde hier von unseren beiden nichtbinären Sensitivity Reader*innen sichergestellt, dass Finni in der deutschen Übersetzung nicht mit dem falschen Geschlecht angesprochen oder beschrieben wird. Beide Reader*innen kommen außerdem aus der Linguistik und der Geschlechterforschung und betreuen universitär queer-feministische Themen.

Mias Mutter und Mia selber sind Schwarz. Hier war es höchste Priorität, keine rassistischen Darstellungen, die unter anderem Aussehen, Geschlechterrollen oder das Ich betreffen, zu reproduzieren. Gemeinsam mit Jade S. Kye konnten wir unser kleines Osterbuch so inklusiver gestalten. Jade kommt aus der Germanistik und betreut als Sensitivity Reader*in Themen wie Postkolonialismus, Antirassismus und (queer-)feministische Materie.

Bücher: "Finni fantastisch", "Lou im Monsterzirkus", "Ein Osterhase für Mia"

Für unseren Herbsttitel »Lou im Monsterzirkus« haben wir ebenfalls mit Sensitivity Reader*innen gearbeitet.

Wie läuft das eigentlich ab?

Zuerst werden für das anstehende Projekt passende Sensitivity Reader*innen gesucht. Das Deutsche Sensitivity Reading Netzwerk ist hier eine super erste Anlaufstelle, um sich über Sensitivity Reading an sich zu informieren und professionelle Reader*innen zu kontaktieren.

Dann geht es los: Die Sensivity Reader*innen begleiten die Entstehung des Buches entweder von Beginn an mit oder werden im Verlauf des Prozesses dazu geholt. So oder so geben sie Feedback zu sprachlichen, bildlichen und sozialdynamischen Darstellungen und erläutern, warum hier eingegriffen werden muss. Das Feedback wird dann gemeinsam mit unseren Autor*innen und Illustrator*innen besprochen und umgesetzt.

Verschiedene Charaktere aus den Büchern (Mia und ihre Mama, Finni, Lou und ein Monster) interagieren miteinander

Unsere Charaktere sollen genauso divers wie unsere Welt sein.

Sensitivity Reading als erster Schritt

Sensitivity Reading bleibt weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung unserer Bücher. Hier gilt bei uns: Egal wie aufgeklärt und sensibel man als Team die Repräsentation von marginalisierter Erfahrung behandelt, wird man als sozialisierter Mensch auch unbewusst historische Stereotype, verschiedenste Rassismen und diskriminierende Sprache reproduzieren.

Deshalb sollte es selbstverständlich sein, mit marginalisierten Stimmen und Fachmenschen wertschätzend zusammenzuarbeiten, um keine verletzenden Inhalte zu veröffentlichen.

Hier ist es aber enorm wichtig zu unterstreichen: Sensitivity Reading ist ein notwendiger Schritt, auf dem man sich nicht ausruhen kann. Aktiv marginalisierte Urheber*innen zu unterstützen ist der nächste, unerlässliche Schritt an dem auch wir noch arbeiten, um die Kinderbuchbranche auf allen Ebenen des Verlagswesens inklusiver und diverser zu machen.

  1. Deutsches Sensitivity Reading Netzwerk